Carbonara alla romana mit guanciale (c) dege

ORGOGLIO CARBONARA

Georg Dekas
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15. Mai 2023

I kimm scho wieder mit der Carbonara…

Lese ich doch in einer «nationalen» Zeitung Italiens diese Vorschau auf einen Online-Abo-Artikel:

 

Dal cuore dell’Italia allo sbarco negli Usa. Orgoglio Carbonara

Le sue vere origini affondano nella leggenda, ma i precedenti risultano ben attestati nel centro della penisola. Durante la Seconda guerra mondiale i soldati americani la trovarono simile alle loro colazioni a base di uova e bacon, e se ne innamorarono. (La Verità  – 8 maggio 2023 – Gemma Gaetani)

[Deutsch]

Vom Herzen Italiens aus die USA erobert. Unser Stolz, die Carbonara.

Ihre wahren Ursprünge verlieren sich in Legenden, aber ihre Vorläufer sind wohl bezeugt in Mittelitalien. Im Zweiten Weltkrieg fanden die amerikanischen Soldaten sie ähnlich wie ihr Frühstück mit Eiern und ‚Bacon‘, und verliebten sich in sie.

Manchmal bilde ich mir ein, dass Leute meine Geschichten lesen, was fast ganz ausgeschlossen werden kann, besonders in diesem Fall. Es geht um die Erfindung der Carbonara durch amerikanische Soldaten, die ich in NUiS/gusto «National Carbonara Day» nacherzählt habe.

Höchst wahrscheinlich reagiert die Dame auf Alberto Grandi, dem Professor für die Geschichte der Italienischen Küche, der die Carbonara gleich in den Staaten entstehen lässt (Nachweis Chicago 1952, mehr dazu in NUiS/gusto «Grana Grandi grane»). 

 

Halb gedreht ist gut getäuscht

Nun, irgendwie hat es bei den Gastro-Chauvis geläutet, dass die GI’s trotzdem etwas mit der Entstehung der Carbonara zu tun haben könnten, und die Evidenz ihres Erfolges in den Staaten ist ja nicht zu leugnen. 

Was also macht der gelernte National-Italiener? Er gibt einen Teil zu und lässt einen Teil verschwinden (nämlich die aktive Rolle der Amerikaner). Eine weitere Legende wird gesponnen: Da fallen die hungrigen GI’s vor der fix und fertigen, garantiert mittelitalienischen Carbonara auf die Knie, entbrennen in ewiger Liebe und führen sie als Braut über die atlantische Schwelle in ein neues Zuhause. Seufz, wie romantisch. Orgoglio nazionale. Nationaler Stolz. Carbonara wie Claudia Cardinale und Sofia Loren zusammen.

So nudelherzig war es eben nicht.

Dazu rufe ich für diesmal drei weitere Kronzeugen auf.

 

Der Nachfahre

Ganz zufällig sagt ein netter, noch junger Römer, während er für das FOOD Network eine «echte» römische Carbonara zubereitet – nebenbei mit gekochten Eiern (!), dass sein Bisnonno (Urgroßvater) während des Krieges eine kleine Osteria betrieb, ein Wirtshaus, und diese Nudeln eigens für die Amerikaner zubereitete. Die ihm dafür Dosenschinken und Eipulver spendierten. Gesagt und gesendet im April 2023.

 

Der Zeitzeuge

Chef Alberto Ciarla erzählt seinem Kollegen Luca Alfieri wortwörtlich:

„La Carbonara nacque a Roma nell’immediato dopoguerra, intorno a Via della Scrofa in una piccola trattoria romana forse in Vicolo della Campana, con ingredienti tipicamente americani. Ero piccolo ma c’ero. Mia madre, cuoca da tradizioni, non la volle mai cucinare perché venivano usati degli ingredienti stranieri, come il bacon e l’uovo liofilizzato, che non ci appartenevano come cultura gastronomica e non fu una invenzione, ma un mero e sorprendente risultato della necessità di sopravvivenza“.

[Deutsch]

„Die Carbonara entstand in Rom in der unmittelbaren Nachkriegszeit, in der Gegend der Via Scrofa, in einer kleinen römischen Trattoria, vielleicht in der Via della Campana, mit typisch amerikanischen Zutaten. Ich war damals noch klein, aber ich war da. Meine Mutter, eine Köchin vom alten Schlag, wollte sie nie zubereiten, weil fremde Zutaten gebraucht wurden, wie der Bacon und das Eipulver, die nicht zu unserer gastronomischen Kultur gehörten. Die Carbonara war keine Erfindung, sondern ein schlichtes und überraschendes Ergebnis der Notwendigkeit zu überleben.“

 

Der Nachweis

«La Cucina Italiana» ist eine altehrwürdige Koch-Zeitschrift, gegründet 1929. Sozusagen die gedruckte Wikipedia der feinen italienischen Küche. Und was steht da in einer ergrauten Ausgabe des Jahre 1954? Hier das damalige Rezept des Orgoglio, des nationalen Stolzes.

 

 

Wir lesen Spaghetti, Bauchspeck, Greyerzer Käse (Gruyère, it. Gruviera), noch dazu in „dadolini“, in Würfelchen (!), eine Zehe Knoblauch. Ja, so steht es da. Kommt Euch das nicht auch wie ein Schweizer Rezept vor? Fast schon ein Käse-Fondue? Oder zumindest ein Tessiner Gericht, ein lombardisches, oder piemontesisches? Kurz, ein Alpengericht.

Langsam erhebt sich die Frage, ob dieses zum nationalen Kult erhobene Ei-Käse-Schinken-Nudelgericht überhaupt etwas mit Mittelitalien und Rom zu tun hat.

Sind das nicht genauso gut alpine Hirtennudeln, die den Rubikon nie zu überschreiten brauchen, weil sie sich selbst gut genug sind unter Schneegipfeln zwischen weidenden Kühen, scharrenden Hennen am Hof und mit reichlich Speck in der Selchkammer?

Dass die Römer in ihrem Hauptstadt-Stolz aus dem Bauchspeck guanciale machen und aus dem Gryière einen Pecorino, ihre Sache. Schmeckt auch. Aber «Orgoglio Carbonara», nationaler Stolz, das ist wieder einmal horrend übertrieben. Da poppt eher der alte italische Minderwertigkeitskomplex auf und wenn nicht, dann das unbändige Verlangen der Italiener, von aller Welt als „campioni“ geliebt zu werden.

Man sieht, Kultur und Politik finden sich auch im Kleinen wieder, bei Düften, Geschmäckern und … der universellen Liebe zur Carbonara.

 

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