Postkarte von 1908

LEOPOLDS KLEIN IST SCHÖN

Georg Dekas
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18. Februar 2009

Das berühmte „Small is Beautiful“ geht auf Leopold Kohr aus Oberndorf zurück. Sein Schüler Ernst F. Schumacher hat es in Amerika berühmt gemacht. Klein ist schöner denn je, und Gedanken sind stärker als Säbel und Raketen.

Leopold Kohr wurde 1909 in Oberndorf bei Salzburg geboren. Dem „Heimatort“ von „Stille Nacht“. Leopold wäre heuer 100 Jahre alt. Der Jurist und Wirtschaftswissenschaftler war ein durch und durch politischer Kopf und ein Abenteurer des Geistes.

Manche sagen Spinner dazu, andere Philosoph. Seine Studien und seinen Beruf vertrat er deshalb nicht schlechter. Er gehörte zu den Besten. Kohr lehrte auch in Innsbruck und setzte sich nach 1945 für Südtirol ein. 1938, als der Österreicher Adolf Hitler sein Heimatland ans Reich anschloß, flüchtete der sozialdemokratisch gesinnte Leopold Kohr nach Amerika, lehrte im Westen an mehreren Universitäten und setzte sich für die Befreiung Österreichs und ein demokratisches Nachkriegseuropa ein.

Genau hier beginnt die Besonderheit Kohrs. Aus dem Größenwahn der Deutschen und seinen zerstörerischen Folgen sollten Lehren gezogen werden. Waren nicht alle großen Reiche solche Monster, die zuerst alle anderen auffressen und dann an sich selber zugrunde gehen? Frühere Beispiele gefällig? Napoleon, Cäsar, Alexander.

Auch die Tragödien der beiden Weltkriege kann man tatsächlich als Ergebnis eines Wettlaufs um weltumspannende Größe sehen. Das ganze 19. Jahrhundert lang tobte die zweite Welle der Globalisierung, als sich die Großmächte England, Frankreich, USA und Russland sich mit militärischen Mitteln um die kommerzielle Weltherrschaft rauften. Als die Deutschen mit ihrem Ehrgeiz dazu kamen und auch in der ersten Liga der Weltbeherrscher mitmachen wollten, explodierte das Spiel.

Ein erstes Mal, und dann als unmittelbare Folge, ein zweites Mal mit Hitler. Stopp, sagt Leopold Kohr. Die Größe ist das Übel. Es zählt nicht, ob Zarenreich, US-Demokratie, viktorianisches Commonwealth oder Nazireich. Die Größe ist das Übel.

Große Herrschaftsgebilde verhalten sich im wesentlichen gleich. Die Leute, die in diesen Gebilden die Macht haben, dienen nicht mehr dem Volk, sondern tun alles, um ihre Macht zu behaupten und auszudehnen, und zwar so heftig, dass sie den Karren zwangsläufig an die Wand fahren. Für Leopold Kohr waren die großen Reiche der Geschichte, aber auch die der Gegenwart – die beiden Supermächte USA und UdSSR – wie die Dinosaurier. Groß, aber zum Aussterben verdammt.

Etwas Großes sagte Leopold Kohr für die Zukunft voraus: Nicht die Unterschiede zwischen Kommunisten und Kapitalisten, zwischen Ost und West, zwischen Arm und Reich würden die Konflikte der Zukunft kennzeichnen, sondern der Kampf der Großen gegen die Kleinen, der Massen gegen den Einzelnen, der unpersönlichen Riesenmächte gegen das vertraute und lebenswerte Umfeld von Menschen.

Noch während in Europa der Krieg tobte, warb Leopold Kohr in Amerika für die Neugestaltung Europas danach. Nach seiner Vorstellung sollte Europa aus vielen kleinen eigenständigen Staaten bestehen, die nach dem Vorbild der Schweizer Eidgenossen einen Bund bilden. Ein Staat sollte nicht mehr als 12 bis 15 Millionen Menschen umfassen.

Nordirland oder die Basken selbständig? Kein Problem. Je kleiner, desto besser. Ungefähr aus 75 Kantonen könnte Europa bestehen. Leopold untermauerte seine Überzeugung mit dem Gedanken vom „menschlichen Maß“. Große Staaten und große Städte haben dieses Maß verloren. Und in ihnen verliert sich der Mensch.

Leopold Kohr hat für das menschliche Maß ein ziemlich anschauliches Rezept. Es sind die 22 Kilometer von seinem Heimatort Oberndorf bis nach Salzburg, in die Stadt. 22 Kilometer, das ist ungefähr die Spannweite, in der sich ein Mensch auskennt, die er mit dem Rad oder zu Fuß leicht bewältigt, und wo er sich wirklich auskennt.

In diesem Umkreis ist er ein Experte, ein im wahren Wortsinn „Erfahrener“. Hier kann ihm keiner so leicht was vormachen, und umgekehrt auch nicht. Was darüber hinaus liegt, interessiert ihn weniger, er kann es nicht aus ständiger Begegnung und Anschauung kennenlernen, kann es nur über Mittelswege erfahren: Nachrichten, Hörensagen, Medien. Sein Urteil wird beeinflußbar und kann leichter gesteuert werden.

Leopold Kohrs berühmter Freund und Bewunderer Ivan Illich hat diese 22 Kilometer Lebenswirklichkeit auf „1 Kohr“ getauft – die Maßeinheit des Menschlichen.

Auch wenn Leopold Kohr mit seinen Ideen für kleine Staaten und Städte, die auf den gehenden, nicht den autofahrenden Menschen zugeschnitten sind, anfangs keinen praktischen und sofortigen Erfolg hatten, so sind seine Überzeugungen doch überaus wirksam gewesen und werden es noch lange sein.

In den Siebziger Jahren hat einer seiner Schüler die Ideen Kohrs in einem Buch leicht verständlich aufbereitet und es „Small is Beautiful“ genannt. Das Buch wurde ein Bestseller und hat Generationen von Grünen und Reformern geprägt. 1983 wurde Leopold Kohr mit dem alternativen Nobelpreis geehrt. Das war zu einer Zeit, als das Schlagwort von der „Globalisierung“ oder die Erfindung der „Mikrokredite“ für die kleinen Leute in Bangladesh noch unbekannt waren.

Heute gilt Leopold Kohr mit seinem menschlichen Maß als wichtiger Ideengeber gegen die Auswüchse der eigentlich schon „dritten“ Welle der Globalisierung, die der weltumspannenden, unbegrenzten und übernationalen Kapital- und Warenströme. Damit ist auch schon etwas angedeutet, was dieser Leopold Kohr an seinem 100. Geburtstag mit uns, dem kleinen Südtirol zu tun haben könnte.

Nicht nur, dass wir Tiroler das „Kohr“ – also die 22 Kilometer – längst schon im Blut haben und wenn man es genau sieht, auch danach leben, nein, auch das „kleine feine“ ist uns lieb und teuer. Nicht umsonst heißt es: Tirol isch lai oans, isch a Landl a kloans … und des Landl isch meins.

Nach diesem Motto hat der Hofer Ander den Sabel geschwungen, nach dieser Kennmelodie ist die Autonomie entstanden und wahrscheinlich wird dieses heimische „Small is Beautiful“ auch in Zukunft hilfreich sein und das geistige Rüstzeug bieten, um zwar die offensichtlichen Vorteile der Globalisierung zu nutzen, aber dafür ihre Schattenseiten um so wirksamer abzufedern. Vom Obstbau und der Milch bis hin zur Finanz- und Sozialpolitik.

Wenn jetzt der Eindruck entstanden sein sollte, der Leopold sei ein Langhaariger in Birkenstockschlappen, der auf dem Radl daherkommt und wenig wirklichkeitsnahe politische Rezepte verklopft, dann ist dieser Eindruck falsch. Bitte Kohr selbst lesen. Internet hilft.

Z.B. aus „salzburgwiki“: „Der Kohr ist ein Spinner meinten viele vom Philosophen Kohr, der darauf antwortete: ‚Das macht mir gar nichts aus, denn ein Spinner dreht ein Spinnrad. Das ist ein billiges Werkzeug, das wenig Kapital erfordert. Es hat ein bescheidenes Anwendungsgebiet, ist unblutig und macht Revolutionen‘. Dem entsprechend hieß sein Hauptwerk auch „Das Ende des Großen“ – das neben anderen Schriften wie „Die überentwickelten Nationen“ oder „Weniger Staat“ weltweites Aufsehen erregten.“

Klein ist schöner denn je, und Gedanken sind stärker als Säbel.

 

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Editorische Anmerkung

Dieser Beitrag von Georg Dekas erschien erstmals als Artikel in der Burggräfler Allgemeinen Zeitschrift (BAZ). Veröffentlicht auf dekas.it am 18 Feb 2009. Ohne Nachbearbeitung auf nuis.it übertragen am 31.03.2023. dege.

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