Ein italienischer Dom (c) dege

IL BERLUSCA

Georg Dekas
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14. Juni 2023

Silvio Berlusconi, 1936-2023. Ein großer Italiener. Eine Würdigung von außen und unten.

Er mochte keinen Knoblauch. Nie. Ein Pusterer, der in den 1990ern unter Leo Kirch einen raketenmäßigen Aufstieg im Fernsehgeschäft hatte, war öfters in Arcore und war begeistert von diesem Mailänder Ausnahme-Unternehmer. Mein Schwager hingegen erzählte mir mehrmals aus erster Hand, wie Silvio Berlusconi alle großen Firmen Italiens Ende der 1980er dazu bewegte, auf seinen Fernsehkanälen Werbung zu schalten.

Als ich später selber kleiner Fernsehunternehmer war, konnte ich erst erahnen, gegen welche Mächte und mit wieviel Können und Geschick sich der Sohn eines einfachen Ragioniere aus Mailand da durchgesetzt und gewonnen hatte.

Mitte der 1990er, mit Kind und Kegel an der Adria, schlendern wir abends durch die Straßen von Riccione. Während die Kinder ihr Eis schlecken, tönen Berlusconis Sender in den Lokalen. Am Radio hört man den Namen Berlusconi in Endlosschleife. Ich schaue zerstreut auf die Zeitungen, Bücher und Ansichtskarten am Kiosk. Wieder alles Berlusconi.

Die tonangebenden linken Zeitungen und Bücher brachten einen Magnaten, der sich trickreich an die Macht schwindelt, um sein Imperium zu retten. Die Satire-Hefte hatten ihr Slapstick-Männchen, mit dem volkstümlichen Namen „Il Berlusca“. Deren halb ehrfürchtige, halb beißende Witze waren in Summe einprägsamer und erfolgreicher als die unendlichen Kriminalvorwürfe der Roten Ilda (Bocassini) von der Mailänder Staatsanwaltschaft. Sogar Ansichtskarten mit Berlusca-Spott gab es. Nur in einer kleinen Ecke verteidigte Berlusconis eigene Tageszeitung «Il Giornale» tapfer und nicht minder forsch die bürgerlich-liberalen Positionen des «Cavaliere», wie er später genannt wurde. Wenig deutete darauf hin, dass das Weltbild dieses Mannes einmal die Republik beherrschen würde.

Mir als österreichisch fühlenden Südtiroler war dieses hoch emotional aufgeladene politische Schauboxen der Italiener fremd – fremd nicht weil unbekannt, sondern weil nicht durchschaubar: Wer hatte denn hier Recht? War der lombardische Großunternehmer, Selfmade-Man und Muster-Italiener ein Halunke, der mit fiesen Tricks bei Keep on smiling bereit war, die Republik zu verscherbeln, nur um sein Firmenimperium zu retten (die linke Version) oder war er der Weiße Ritter, der Retter von Freiheit, Marktwirtschaft und Vaterland?  

Silvio Berlusconi selbst sagte immer wieder das Gleiche, und das in sehr einfachen und klaren Worten: Er habe beschlossen, gegen zerstörerische und illiberale Kräfte ins Feld zu ziehen, weil er sein Land und die Freiheit liebe. Er nanne die Ideologie seiner Gegner «fallimentare», eine, die in den Konkurs führt, und er bezeichnete dies als «comunismo», Kommunismus.

Diese seine berühmte «Scendo-in-Campo»-Rede (Fernsehansprache 1994) eröffnete Berlusconi übrigens mit einem astreinen Bekenntnis zu Heimat, Tradition, Vaterlandsliebe und Freiheit. Im Jahr seines Dahinscheidens sind diese Worte gar nicht mehr so ungewöhnlich. Aber 1994 klangen Sätze wie: «habe von meinem Vater gelernt» oder «Hier habe ich meine Wurzeln» wie eine Kriegserklärung an den polyglotten, kosmopolitischen Geist der «United Colours of Benetton».

Letztere, so wie Berluscas Mediaset, ebenfalls eine große kommerzielle Unternehmung mit politischer Bedeutung – eben wieder eine dieser bahnbrechenden politischen Erfindungen Italiens – in diesem Fall der Trevisaner Textilhändler-Familie Benetton.

Berlusconi ist 1994 Regierungchef von Italien geworden. Trotz aller Intrigen und der Verfolgung durch eine offensichtlich politisierte Justiz. Ja, er hat als eine der ersten Gesetze, die Existenz seines Medienunternehmens abgesichert. Die Linken sehen das als Beweis für sein egoistisches Grundmotiv. Aber was hätte der Gute machen sollen? In Mailand die Hände in den Schoß legen und zusehen, wie die Parteien in Rom Arm in Arm mit den Tribunalen sein Medienimperium zerschlagen? Der Sturm gegen ihn war so groß, weil ein Privatmann es geschafft hatte, das Staatsmonopol auf veröffentlichte Meinung im Fernsehen zu knacken. Damit war die massenrelevante Machtbasis der herrschenden Parteien und Körperschaften in Frage gestellt.

Trotz der unsäglichen US-Seifenopern und der ganzen zur Schau gestellten Eitelkeit: Berlusconi und seine Mediaset waren der Rammbock der Freiheit gegen ein verknöchertes Parteiensystem, das dabei war, den freien Markt, die Freiheit der Tüchtigen  und die Freiheit der Ideen systematisch in eine grau-sozialistische Bonzenherrschaft zu überführen.  

Der Ministerpräsident Berlusconi begnügte sich aber nicht damit, sein Unternehmen vor der sicheren Zerschlagung zu retten. Er wollte ein neues, ein amerikanisches Italien gestalten.

Zwei Dreh- und Angelpunkte waren entscheidend: 1.) Der Staat sollte nicht mehr als ein Drittel des Einkommens eines jeden Staatsbürgers an Steuern und Abgaben verlangen dürfen; 2.) Der Artikel 18 im Statuto dei Lavoratori musste fallen. 

Am Ende ist Berlusconis erste Regierung darüber gefallen. Es war ihm nicht gelungen, die Macht der Gewerkschaften, der Vorfeldorganisationen der sozialistischen und kommunistischen Parteien, zu brechen. Geschweige, die natürliche Obergrenze gegen das Steuer-Raubrittertum des Staates einzuführen. Doch ein Berlusconi gibt nie auf. Zu seinen Lebzeiten ging der Witz um, wenn Berlusconi einmal stürbe, sollte man drei Tage zuwarten, denn er könnte wiederkommen. 

Ein heimisches Paradox ist mir noch gut in Erinnerung. Eine Bergwanderung zusammen mit einer begüterten Dame und Freundin meiner Gemahlin, das war noch vor dem Millennium. Schimpft die auf Berlusconi, verzieht Mundwinkel, macht verächtliche Bah’s und schießt das ganze Wortrepertoire der Salonlinken ab, der Radical-Chic, wie sie in Italien hießen, bevor die Jüngeren von ihnen «woke» wurden. Wir schauen uns verdutzt an. Gerade eben hatte sie noch erzählt, dass der eine Sohn diesen, der andere Sohn jenen Teil des Familientafelsilbers erhalten würde, und das ohne Erbschaftssteuer. Dass es Silvio Berlusconi war, der die Erbschaftssteuer kurzerhand abgeschafft hatte und dadurch den Generationen-Übergang von Millionen von Betrieben und Familienvermögen ermöglicht hatte, und dass auch die Familie der guten Frau davon profitierte, das kam unserer Wanderfreundin gar nicht in den Sinn. So stark hatte sich das Anti-Berlusca-Narrativ auf die Zungen der gesellschaftlich temperierten Konversation gelegt. 

Die weiteren Schicksale des Cavaliere habe ich nicht sonderlich verfolgt. Mich hat es geschmerzt, dass er Martin Schulz einen (KZ) Kapo nannte und Angela Merkel eine «culona» (Pferdearsch). Auf der anderen Seite habe ich seine Chuzpe und Weitsichtigkeit bewundert, mit der er sowohl Wladimir Putin als auch Muammar Al Gaddafi freundschaftlich umgarnte. Das, worüber sich alle Welt am meisten aufzuregen schien, das Bunga-Bunga, ließ mich stets kalt. Ich habe in diesem Zusammenhang lediglich immer wieder gestaunt, wie wenig die Deutschen von Italien überhaupt verstehen, reden wir nicht von Berlusconi.

Nun ist in diesem kleinen Aufsätzchen eines noch nicht angesprochen worden, etwas, das alle scheinbar voraussetzen, aber kaum jemand erwähnt, weil offensichtlich seine Witzchen unterhaltsamer sind: Dieser Silvio Berlusconi war ein Superhirn, das fast jeden IBM-Rechner der ersten Generation geschlagen hätte. Für mich hat er den Beweis dafür erbracht in jener denkwürdigen Fernsehsendung bei Vespa (Porta a Porta, 2001), in der er seinen «Contratto con gli Italiani» vorstellt. Er kannte jede volkswirtschaftlich relevante Zahl, er setzte alle politischen, juridischen, ökonomischen, sozialen und geopolitischen Sachzusammenhänge wie Schachfiguren bedächtig auf unser aller Spielfeld, verschob sie, zeigte  Millionen Zuschauern seine Züge einfach und verständlich an, bewies strategische Übersicht, souveräne Urteilskraft, rednerische Gabe sowieso.

Nein, Berluscas Brillanz gewann das Duell gegen einen stammelnden Prodi nicht (das war dann 2006). Die Italiener lieben Genie bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn dieses zu lombardisch, also zu deutsch wird, dann schalten sie weiter.

In seinen letzten politischen Tagen musste sich der Cavaliere, wie ihn die Seinen nennen, die Schnauze einer erfrischenden römischen Göre ausleihen, um seine Gedanken in die Hände der Nachwelt legen zu können. Die Gedanken eines ‚Gran Ragioniere della Repubblica‘ (das wäre mein Vorschlag für einen angemessenen Titel) im Streben nach einem freien, leistungsstarken Italien. Sein Vater Luigi, der Ragioniere aus Mailand, wird mächtig stolz sein auf seinen Buben, Mamma Rosa sowieso. Nun ist er Legende, der Cav. 

  

Nachtrag

 

Habe nach dem Erscheinen des Artikels oben einen Beitrag von Antonio Polito im „Corriere della Sera“ gefunden, geschrieben am Tag des Todes von Berlusconi: Reif, tief, umfassend. Wer Berlusconi jenseits der Piazza verstehen möchte, lese HIER.

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