Karl Lueger im Bürgermeister-Ornat. Gemälde von A. Mayerhofer (Teilansicht)

DAS BÜRGERMEISTERPARLAMENT

Georg Dekas
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1. Juni 2023

Der Südtiroler Landtag wird immer mehr zum Bürgermeisterparlament. Partei & Parlament verlangen nach einer kräftigen Auffrischung.

Landtag teueres Chat-Forum?

Begleitet man den Südtiroler Landtag als Beobachter von außen, kommen einem schwere Zweifel an der Funktionstüchtigkeit dieser zentralen politischen Institution. Der Südtiroler Landtag ist das Parlament des Verwaltungsbezirkes «Autonome Provinz Bozen». Eigentlich sollte es eine Schmiede der dynamischen Autonomie und das politische Aushängeschild des Landes Südtirol sein. Und doch wirkt dieses Parlament der 35 so oft wie eine Radlflickwerkstatt von lauter Lehrbuben, oder wie eine lokale Recycling-Anlage für römische Verordnungen oder wie ein teures Chat-Forum, dessen Betriebszweck es ist, den lokalen Zeitungen Futter zu geben und Rentnern ihre Tagesgespräche aufzufrischen.

Allmacht der Politbürokratie

Diese subjektiv wahrgenommenen Gebrechen der repräsentativen Demokratie kontrastieren seltsam mit der Allmacht der Politik im Lande Südtirol. Die aus der Mitte des Landtages gewählte Landesregierung mit einem «Landeshauptmann» an der Spitze gebietet über ein Heer von beamteten Mitarbeitern in Verwaltung, Schule, Sanität und Kommunen. Klammer auf: Mit den direkt und indirekt vom Land Beschäftigten und Ernährten lassen sich locker Landtagswahlen entscheiden, Klammer zu. Ein jährlicher Megahaushalt von 6 Milliarden Euro Steuergeld wird gegen Ansuchen oder Auftrag an Bedürftige und an Wohlhabende verteilt. Die gewaltigen Kosten von Grossprojekten, z.B. im Straßen- und Bahnbau, scheinen keine Rolle zu spielen. Aber für jeden Zaun und jedes Dachfenster, das sich ein Kleinhäusler richten will, braucht es Eingaben, Kommissionsbescheide, Verordnungen und weiß der Teufel noch was.

Vormarsch der Bürgermeister

Vielleicht ist es das Zusammenwirken aller dieser Elemente, was dazu führt, dass immer öfter Bürgermeister vom Dorfthron auf den Bozner Parlamentssessel wechseln oder wechseln möchten. Allein schon das aktuelle Bild spricht Bände. Landeshauptmann Kompatscher war Bürgermeister von Völs, Schuler, sein Intimus in der Landesregierung, der von Plaus. Die mitregierende Deeg war Stadträtin von Bruneck, der Alfreider saß im Gemeinde-Ausschuss von Corvara. In den Reihen der Abgeordneten finden wir die gewesenen Bürgermeister Locher (Sarnthein), Noggler (Mals). Und wer tritt alles zu den Landtagswahlen im Oktober 2023 an? Da haben wir den deutschen Bürgermeister von Bozen, den von Brixen, den Stauder von Lana, den Lintner vom Ritten, die Tröger von Latsch, die Pamer von Mortin (St. Martin im Passeier), den Mayr von Kurtinig und den Steger von Prettau. Alle im Lager der Regierungspartei SVP. Eine Armada.

Experten der Maschinerie

Offensichtlich ist die Bürokratenmaschinerie zwischen Land (Regierung und Ämtern) und den 116 Gemeinden des Landes schon so eng verwoben und verzahnt, dass die anderen Interessenvertreter im Landtag wie Aliens, die Bürgermeister hingegen wie Experten wirken.

Zum gegenwärtigen Stand der Dinge ist es nun wirklich hinterfragbar, warum sich Südtirol einen Landtag mit teuren Berufs-Diskutanten leisten sollte, die kein Jota bewegen, weil der Bürokratenfilz so übermächtig geworden und das Dagegen-Anreden so nutzlos und frustrierend ist, wie kaum je zuvor.

Technokratie vs Demokratie

Wäre es da nicht konsequent, den Südtiroler Landtag frisch in ein Bürgermeisterparlament umzuwandeln?

Was wie ein umumkehrbarer Sprung in die totale Technokratie erscheint, könnte bei bewusster Steuerung eine Revitalisierungskur für die leidende Demokratie werden. Damit befasst sich mein kommender Beitrag.

Kommender Beitrag

Die zunehmenden Fehlfunktionen im System Partei & Parlament verlangen nach einer kräftigen Wende. Wie diese gestaltet sein könnte, zeigt eine Ideenskizze.

«Demosyne» – die längst fällige Weiterentwicklung der Demokratie im repräsentativen parlamentarischen System, illustriert an Südtiroler Verhältnissen. Eine politische Ideenskizze von Georg Dekas.

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