Nein, mit der italienischen Tricolore habm’s wir nicht. Aus guten Gründen.
Für einen Augenblick war sie mir ganz nah am Herzen, die frisch gebackene Bandana-Bürgermeisterin von Meran, als sie sich einen Ruck gab und die Grünweißrote Schleife ablegte. Die Körpersprache zeigte, dass dieser Gestus ganz tief aus ihrem Inneren kam. Sie begründete es mit ihrem Abscheu vor männlich-paternalistischer Bevormundung. Ich glaube, es kam von tiefer her. Jedenfalls ist dieser zur Berühmtheit bestimmte Vorfall, auf Video gebannt, ein Grund um sich mit der Tricolore zu befassen.
Das Narrativ zum französischen Imitat, welches die Nationalflagge Italiens ja ist, hat „il Presidente del Consiglio“ Giorgia Meloni zum Zeller-Anlass vollmundig vorgetragen. Da quillt Herz und Rede über: Stolz, Ehre, Einheit, Vaterlandsliebe, Freiheit. Eine noble Lesart, die Achtung verdient. Die Meloni-Rhetorik ist allen Italienern, gleich ob links oder rechts, ins Erbgut gelegt worden. Aber die Tricolore ist tricky. Meloni preist nämlich eine blütenrein gewaschene Fahne, für die der Feiertag des 25. April einsteht.
Italien tut so, als hätte es keinen einzigen Schmutzfleck in seiner Geschichte und als hätte ihr „Dreifarber“ immer schon republikanisch gestrahlt. Dem ist nicht so. Reden wir gar nicht von Benito Mussolini und den begeisterten Volksaufmärschen auf der Piazza Venezia in Rom, alles im Zeichen der Tricolore und des imperial-faschistischen Italien. Reden wir nicht von Libyen und Abessinien, von Griechenland und Kroatien, der Ukraine und Spanien, als die Tricolore die jeweiligen imperialistischen Überfälle der Italiener auf fremde Staaten und Kulturen anführte.
Es genügt, von unserer eigenen und nächstliegenden Geschichte zu erzählen. Die italienische Fahne war uns Südtirolern nicht nur fremd, sie war verhasst. Erst sehr spät versöhnte uns die Zeit und der Sport mit den Nationalfarben Italiens. Vor allem weil Südtirol herausragende Sportler hat – wie Gustav Thöni seinerzeit oder Jannik Sinner heute. Und weil wir als Bergmenschen („montanari“) eine der Natur gedankte Duldsamkeit haben. Für Hass und Abneigung gab es dennoch Gründe genug, und zwar nicht nur in der hohen Politik, auch im gelebten Alltag.
Von 1945 weg bis zur Hochblüte der Autonomie unter Luis Durnwalder stand die grünweißrote Tricolore für das großspurige Überlegenheitsgetue der (unechten) „Sieger“, für den weit verbreiteten, atavischen Deutschenhass, für den präpotenten, urdummen „siamo in Italia“-Killer-Ruf, mit dem sich die Zuwanderer aus dem Süden auf den Bürostühlen der Staats- und Landesverwaltung, in der Gesellschaft und im Wirtschaftsleben Platz machten. Die Trikolore, das waren nie die Farben unserer Heimat, auch wenn sie in anderer Zusammensetzung Tirolische sein könnten. Die Tricolore verkörperte nicht den Patriotismus, sondern den Imperialismus, also den vom Nationalismus und Faschismus alimentierten Wahn. Die Tricolore verdrängte jäh und anmaßend den vertrauten Platz, den das Italienische immer schon bei uns hatte, und das bis zur Annexion (1920) hochgeachtet war und geliebt wurde, trotz des scharfen Nationalitätengezänks im 19. Jahrhundert.
In der Kaiserzeit lebten wir als „deutsche“ und „wälsche“ Österreicher im Kronland Tirol. Wir hatten höchste Zivilisationsstandards in Technik, Komfort, Rechtspflege, Kultur und Wirtschaft. Nach dem an die Amerikaner verlorenen Ersten Weltkrieg nahm das Königreich Italien Besitz von dieser Perle Europas und trat sie mit Füßen. Der Hass auf Österreich konnte sich bei uns entladen. Diese Zeit, ebenso wie die spätere bis 1945, liegt wie ein Brandmal auf der Südtiroler Seele. Und dieses Brandmal hat die Farben Grün-Weiß-Rot.
Tricolore und In-Besitz-Nehmen hat eine Geschichte auch in Italien. Innerhalb des angeblich unteilbaren, einigen Italien flattert der dünne Stoff der Tricolore knapp über zugespachtelte Mauerrisse. Erinnern wir uns daran, dass es das Königreich Piemont war, das mit massiver Hilfe der Franzosen („la Tricolore“ in Blau-Weiß-Rot) den Süden der gottgesegneten Halbinsel in einem kühnen Angriffskrieg einsackte und die reich gefüllte Staatskasse Neapels plünderte. Diese Wunde schmerzt den Süden heute noch.
Im Zeichen der Tricolore steht das groß angelegte und letzlich sehr erfolgreiche Vereinigungswerk Italiens: „Wir haben Italien gemacht, jetzt müssen wir die Italiener machen“ ist ein berühmtes Bonmot aus dem Risorgimento, in dem die ultranationale Pathetik hochgezüchtet wurde. Real gibt es die Piemonteser, die Lombarden, die Römer und Sizilianer, die Toskaner und Veneter, die Romagnoli und Calabresi, die Sarden und Genueser, usw. alles eigenstänige Entitäten, je mit ihrer Sprache, ihrer Geschichte, ihrem Stolz, ihrer Küche; geografisch und willensbestimmt sind es Italiener, klar, aber das große Ganze ist nicht jene nationale Masse und Rasse aus der Unisex-Retorte. Die übrigens die Alltagssprache beherrscht. Im Fernsehen ist jedes zehnte gesprochene Wort Italia oder Italiani. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Italia über alles.
Am Ende sei noch an die Tricolore auf den Packungen von Lebensmitteln und Markenprodukten erinnert, vom Käse mit „100% latte italiano“ bis zu den Nudeln mit „100% grano italiano“ etc. etc. Hinter überschäumendem Nationalstolz verbirgt sich in eine gerissene Marketing-Strategie, um die man Italien beneiden kann. In ihren Ausläufern hat sie fast schon etwas Infantiles an sich, etwa, wenn selbsternannte Wächter der italienischen Küche es naserümpfend am liebsten verbieten möchten, dass z.B. in Singapur die Carbonara auf eigene Art zubereitet wird. Nicht weit entfernt vom „vilipendio alla bandiera“ (Schmähung der Staatsfahne, ein Delikt) sind wir, wenn ein englischer Starkoch die Carbonara mit Sahne macht. Ja, das sind die realen Empfindlichkeiten. Katharina Zeller ist in einer richtigen Hexenküche gelandet.