(c) dege 2024

SOZIALE MITTE?

Georg Dekas
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29. Dezember 2024

Der linke Flügel der Südtiroler Volkspartei wird „Soziale Mitte“: Weg mit „ArbeitnehmerInnen“ und dem hässlichen Logo. Die Macht bleibt.

Wie man hört, wollen die mächtigen Sozialdemokraten in der SVP sich umbenennen in „soziale Mitte“ (DOL, 28. Dez. 24, (hof) berichtet). Das ist ungemein lobenswert, denn ihre bisherige Etikettierung als „Arbeit – nehmer – innen“ mitsamt hässlichem Logo war doch sehr unterbelichtet. Es braucht schon einen gehörigen Schuss Kleingeist und Provinzialität, den noblen Begriff „Sozialdemokrat“ zu reduzieren auf ein tariftechnisches Unding wie „Arbeitnehmer“ (Widerpart von Arbeitgeber). Als die „Frauen“ große Mode wurden in der Politik, haben sie noch das „Innen“ hinten angehängt wie eine Mistfuhre im Sommer. Sommer und Ernte, das hatten sie lange, lange Zeit, die Arbeitnehmer in der SVP. Nein, sie haben nicht nur geerntet, sie haben regelrecht abgesahnt.

Die Hochzeiten von Volkswille und Parteikartell

Wer erinnert sich nicht an ‚Madame Wobi‘ Rosa Franzelin, den ‚Grafen‘ Hubert Frasnelli, den Gesundheits-Otto, den stillen Achmüller aus Pusterer Gefielden, den forschen Sepp aus Villanders, den Medizin-Wohlfahrt-Raumordnung umspannenden Ritchie, ein Freund der Eisenbahn übrigens, die üppige Kultur-Mur und die scharfzüngige Unterbergerin? Zusammen mit dem Wauwau-Schorsch vom ASGB und dem KVW – eine wahre Wehrmacht der Werktätigen – , verfügte das innerparteiliche Kartell der ‚Arbeitnehmer‘ über den Löwenanteil des ständig wachsenden Landeshaushaltes. Getragen vom breiten und klaren Volkswillen hielten die Rosaroten im Edelweiß die vitalen Ressorts der Landesregierung und damit die großen Brocken der Politik eisern in ihrer Hand: Schule, Sanität, Wohlfahrt, Wohnbau, Landesdienst, Kultur, Gleichstellung. Gar nicht gerechnet die betonharte Basis des sozialen Flügels der SVP in den Gemeinderäten landauf landab.

AA 1986 im Fernsehen (c) dege

Heute: Die Macht ist lau-lila und rosa-rot

Heute, kurz vor der Umbenennung, fühlt sich Tony Tschenett vom ASGB berufen, den alten Zeiten nachzutrauern. Er feststellt, dass das Sozialkartell, dem er selber angehört, früher mehr Geld bewegt habe als heute. Er beklagt, dass es zahm und still geworden sei in den führenden Reihen der Arbeiter und Angestellten in der SVP. Gemessen am boostenden Selbstbewusstsein eines Frasnelli oder Kusstatscher aus früheren Zeiten mag das ja stimmen. Dabei wird völlig ausgeblendet, dass der Herr Arno Kompatscher, Landeshauptmann seit geschlagenen elf und noch vier Jahren, sich dem sozialen Flügel der SVP zurechnet. Dabei wird ausgeblendet, dass eine rot-violette Julia Unterberger in der Senator-Lounge in Roma Eterna thront. Dass ein undefinierter, unterm Strich arbeitnehmender Achammer lange und bis vor kurzem der mächtigste Mann der SVP und der meistbeschäftigte Mann in der Landesregierung gewesen ist. Die ‚tutta acqua e sapone‘, (früher) Birkenstock tragende Magda aus BX, täuscht rosarot darüber hinweg, dass die ‚Arbeitnehmer-Innen‘ die höchsten Chargen innehaben und das meiste Geld im Lande bewegen. Aber klar, wenn man alles schon hat, greift das ökonomische Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Unter anderem wirken Kompatscher und Achammer auch deshalb so erfolglos.

Was Normalos wollen

Wer den abnehmenden Grenznutzen nicht versteht, kann das Phänomen auch mit einer chemischen Sättigung vergleichen. Ein Optimum, über das hinaus ein Mehr nichts nützt. Moralisch gesprochen heißt das Dekadenz. An Tony: Eine Sättigung ist keine Schrumpfung. Es ist unschwer zu erkennen, dass der Sozialstaat seine Grenzen längst erreicht und auch überschritten hat. Der Lackmustest hierfür ist die Migration und die Verweiblichung der Politik (Worte statt Taten, Gefühle statt Tatsachen). Die sozial gesinnten Normalos wollen, dass nur jene bedürftigen Leute Hilfe kriegen, die sie wirklich brauchen (und nicht erschleichen). Sie wollen ihre eigene Arbeitsleistung ordentlich honoriert sehen. Sie wollen raus aus dem Steuerschraubstock. Sie wollen nicht, dass Leute, die nie einen Cent in die Sozialkassen eingezahlt haben, gleiche Bezugsrechte haben wie jene, die ein Leben lang hier im Land geschuftet haben. Längst hat der untere Teil des Volkes die gebotene Kursberichtigung in die Wege geleitet. Die Erfolge von AfD, FPÖ, JWA, FdI, usw. sprechen eine überaus deutliche Sprache. Unter radikal veränderten ökonomischen und sozialen Bedingungen schreit die vielzitierte ‚Soziale Gerechtigkeit‘ nach einer neuen Definition. Das ist keine Laune und keine Dummheit, sondern eine Notwendigkeit, die von den Oberen immer noch als Populismus und ‚Rechts‘ missverstanden und verunglimpft wird.

Die Leistungsgeber

Die neuen Sozialdemokraten Europas verstehen sich nicht mehr als (Arbeit-) NEHMER, sondern als (Leistungs-) GEBER. Für dieses gewachsene Selbstbewusstsein ist zum Teil die Demografie verantwortlich, weil immer weniger Kinder geboren werden und der Arbeitsmarkt stark zum Vorteil der Lohnarbeit schiftet. In diesem Selbstbewusstsein steckt auch der Anspruch, selbständig leben zu können vom Ertrag der eigenen Leistung und nicht untertäniger Bittsteller der Politik sein zu müssen.

Mitte hat keine Kontur

Die Verschrottung der Plakette „Arbeitnehmer“ ist deshalb richtig und sogar überfällig. Nur darf man das erwählte neue Wort „soziale Mitte“ mit etwas kritischer Vorsicht begrüßen. Als der Schreiber dieser Zeilen im Jahr 1988 einigen Abgeordneten der SVP, die sich vom bürgerlichen Lager näher hin zu den Parteilinken bewegen wollten (um mehr von deren Manna zu erhaschen) den Namen „Neue Mitte“ vorschlug, wurde der sofort angenommen. Doch leider war das Leben dieser Mitte kurz – und musste es auch sein. Ganz so wie bei Gerhard Schröder in der SPD, der die „Neue Mitte“ etwas später erfand. Der Grund, so nehme ich an, ist, dass der Begriff „Mitte“ keine Konturen hat, kein Profil aufbauen kann und damit keine Identität haben kann. Was ist schon „Mitte“? Bei Sadtteilen wie ‚Berlin Mitte‘ geht es noch an, aber die Mitte in der Politik ist ein Unort. ‚Mitte‘ garniert mit dem Attribut ‚sozial‘? Naa, ich weiß nicht. Zu ‚sozial‘ bekennt sich wohl ein jeder (vor allem die Unternehmer, und die sind es sogar auch noch, weil sie genau jenen Reichtum schaffen, der dann verteilt werden kann). Dazu funkt und wischt jeder heute in den ‚sozialen‘ Medien herum. Sozial ist ein Allerweltswort. Das alles sind schwache Voraussetzungen für einen soliden und langlebigen Begriff.

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