Wien, Am Graben, 2022 (c) dege

WIEN O WIEN

Georg Dekas
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5. Februar 2023

«Dann wäre Wien noch Wien». Die Hauptstädter unserer lieben Alpenrepublik haben wieder einmal ihr blaues Auge und ihre «Causa», ohne die sie offensichtlich nicht leben mögen. Diesmal heißt sie «Waldhäusl», was etwas trauter und heimischer klingt als «Ibiza», aber lang nicht so poetisch wie «Liederbuch».

In Wahrheit ist es nur einer von abertausenden Sätzen, die im medialen Tropenwald des Digitalozän so dahin gesagt werden. Kein besonders schlauer Satz, aber auch kein böser – von der Art: Wenn du nicht gekommen wärst, wär mein liebes Stadl immer noch das alte. Eine uneinholbare Tautologie. Natürlich wäre es das! Es wäre auch das alte Stadtl geblieben, wenn die Pawlitscheks und die Kuceras und die Kovacs, die Lendvais und die Grünbaums nicht gekommen wären… und doch, was wäre das gute alte Wien ohne sie?

War Beethoven ein Wiener, oder Mozart, oder Prinz Eugen? Nein. Das weiß auch der nostalgischste Wiener ganz genau. Wandern und Wandel gehören zum Menschen. Und dennoch hat jede Generation das Recht, wehmütig auf die Vergangenheit zurück zu schaun – und dem tief im Stammhirn verankerten Trieb zu frönen, das eigene Revier zu verteidigen. Solange es zivil abgeht.

Dazu zwei Beispiele aus Südtirol. Das Erste: Als in unserem Ort wieder einmal Bürgermeisterwahlen waren und sich ein Junger anschickte, den Alten zu beerben, hieß es am Stammtisch: «Jo isch des nit a Zuagroaster? Der isch jo iberhaup nit fa do!» Und das von einem jungen Mann, dessen Großvater aus einem nahen Seitental zugewandert war, dessen Vater ein Leben lang seinen Barbierladen im Ort geführt hatte und der selber als Lehrer hoch engagiert im Dorf unterwegs war.  Schwer vorzustellen, dass der Stammwurzler den Mut gehabt hätte, so etwas vor laufender Kamera zu sagen. Aber wenn etwas nicht öffentlich gesagt wird, heißt das noch lange nicht, dass es nicht da ist. Und je mehr wir wissen, was Leute wirklich denken, umso besser ist es. Von wegen «Causa» Waldhäusl!

Zweites Beispiel. Diesmal ein blutiges. Tirol ist ein altes Verbindungsland – kein Grenzland, wie die nationalistisch verbildeten Italiener meinen – ein Land mit einer dreifaltigen Sprachkultur: Rhätoromanisch, Deutsch, Italienisch. Aber als Mussolini ab 1920 und ab 1946 später ganz Italien eine Masseneinwanderung nach Bozen organisierten, da blieb unseren Leuten das Herz stecken. Fremde im eigenen Land. So viel auf einmal, das konnte nicht sein, das war zu viel und sowieso alles unter falschen Vorzeichen: ‚Wir sind die neuen Herren, die überlegene Kultur‘, schienen die neuen Einwanderer zu sagen, ‚und ihr seid die Weichenden‘. Das Ergebnis war die Feuernacht und ein schwerer Nationalitätenkonflikt, der leicht in ein zweites Belfast hätte ausarten können.

Trotz der ganzen Verschiedenheit ist es wichtig, die Ähnlichkeiten zum woken Wien von heute zu erkennen. Die Schülerin, die in der TV-Rederunde den Abgeordneten Waldhäusl unter die Nase rieb, ihre halbe Schulklasse wäre nicht hier, wenn die Zuwanderung blockiert würde, spielt mit der natürlichen Arroganz der Jugend: Was willst du, alter Sack, du musst weichen, wir sind die Zukunft und somit die Besseren.

Und der alte Sack flüchtete sich ertappt und vorschnell in ein «Dann wäre Wien noch Wien». Wie um zu sagen, ich möchte nicht, dass die Welt, die ich von Kind auf kenne und liebe, sich je verändert. Wer möchte das schon? Wir alle werden sentimental, wenn es um die bestimmten Dinge geht, die Jugend, die erste Liebschaft… Wien, Wien nur du allein, sollst stets die Stadt meiner Träume sein…

Die Reaktion des biederen Niederösterreichers Waldhäusl ist so verständlich wie unhaltbar – aber nicht aus Gründen der politischen Unkorrektheit, sondern weil die Zeit für uns alle unaufhaltsam dahin fließt.

Die Frage, die beim Satz von Waldhäusl und der ganzen woken Aufregung rundherum zu stellen ist, ist eine ganz andere als die lancierten Invektiven à la «rassistisch» & Co. es vermuten lassen, und diese Frage lautet:

 

Warum tut sich Österreich so schwer mit seiner eigenen Natur?

Wozu dieses krampfhafte Auftragen von Modernität, Jet-Set-Getue und High-Society-Dünkel, wenn es am Ende doch nicht mehr ist als ein dünner Firnis oder gar ein inszeniertes Schauspiel, hinter dem sich plötzlich ein kokaingetriebener Kinderporno-Abgrund auftut?

Ein Pulk von Leuten, die vor der eigentlich starken Seele eines der schönsten Länder der Welt in Scham und Schande versinken müsste und es nicht tut? Sich für überlegen hält, rhetorisch die Lufthoheit behalten will, gleich wie gekünstelt alles ist? Ist es vielleicht den woken Österreichern tausendmal zu blöd, dass Adolf Hitler ein Österreicher war?

Ja, gewiss, nur ändern können sie daran nichts. Es zu überspielen, ist weit törichter als der Wahrheit ins Auge zu schauen. Dazu muss man die Wahrheit erst einmal aushalten. Und den, der sie verkörpert und ausspricht. Erst dann wird es möglich sein, hinter den Parolen die Graustufen auseinander zu halten und das Unverfängliche vom Gemeinen, das Wehmütige vom Bösen zu unterscheiden.

Mit der woken Klatsche über die FPÖ hauen, nur weil sie die traditionelle und bodenständige Seite des Landes ausmacht, das wird sich nicht spielen. Trotz so mancher Gymnasialklasse von Mädchen, deren Eltern aus Bosnien, der Türkei und sonstwoher kamen. Wie schon vor hundert Jahren und mehr. Als Wien noch Wien war.

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