Nicht ganz der Leibhaftige (c) dege

Teiflische Angst

Georg Dekas
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5. Dezember 2022

Der Krampus & Nikolaustag ist eine geniale Einrichtung. Wo bitte findet heutzutage die Erziehung zur Angst statt? Eine kleine Geschichte aus alten Tagen.

Schlanders, 5. Dezember 1960

Seit Tagen ist die Red von die Krampus bei ins in der Volksschual. «Giamr schelln!» heißt es unter die Buabm, die si trauen. Es geat drum, wer vo die kluan Fetzer schneller sein werd als die groasn Krampusse mit imene schwaarn Kuagloggen. Wer nit schnell genua isch, kriegt uans iber, bis er blau isch. Donn – fir die uan endla, fir die ondern unausstellbar – isch der Tuifltog do. Insere Schual isch an ausgediente, walsche Kaserne am Dorfrand, und bis huam muss i durchs ganze Dorf. Schun am hellen Tog sein die Schellen von die groasn Krampusse iberoll zu hearn. Meine Angst isch unbeschreiblich. Auf dem Heimweg kimmt mir mei Mamma entgegen, gottseidank. Beim Schatzkimagazin (Cadsky) gegeniber vom Stainer muss sie mi retten vor a Kutt schwarze stinkete Bocksgestalten, die mit imene scharfe Ruaten und Ketten alles derschlagn, was imene in Weg kimmt. Die Holzrampe und die hoachn alten Traam vo den Obstmagazin sein mir heut no vor Augen. Und so isch es Gezapper weiter gangen den ganzen Nommitog. Alm lauter und alm dichter isch es Schellen worden. Beim Hausaufgabmachen hab i es durchs Fenster gheart, und die dinnen Glosscheiben hobm leicht zittert. Dann wollt mei Muater mi «erziehen», glaub i, mi abhärten, mein Mannstum friazeitig hertengeln oder was woas i, sie hats sicher guat gmuant, und hat mi aussi in die Holzschupf gschickt, Scheiter fürn Ofen holen. I weiß nit, wie oft wie viele Tode i gstorbn bin auf de fuffzig Meter übern Hof und zrugg. Sicher isch, dass meine teiflische Angst vor die Tuifl durchs Holzholen nit klianer und schun gor nit aweck gongen isch. Spätere Jahr bin i dann mit die kluanen Schelleler mit grennt in der Kutt, wenns finster gworden isch und die Krampusse erst so richti aufdrahnt hobm. Mir Letzn mit insere hellen, kluanen Schellelen sein um inser Leben grennt, hobm ins in jeden Winkl versteckt und hobm am nextn, den Nikolaustog, stolz die bluatigen Striemen und die ganzen Blauen herzoag. Wia siass hobm die Kexlen, Nisslen und die Orantschn gschmeckt, de ins der Nikolaus in die Stub glegt hat. War i am Tuifltog nit mitgloffn, nor i woas nit, wie i mein’ Angst vor die Tuifl iberkemmen hett. Es isch wie beim Wetter: bisch mitten drin, ischs halb so letz.


Nachsatz: Der Krampus & Nikolaustag ist eine geniale Einrichtung. Wo bitte findet heutzutag die Erziehung zur Angst* statt, diesem mächtigen Movens der Evolution, dieser ersten Triebfeder zu jeder Art von Leistung, wo der Mensch über sich selbst hinauswächst und genau dadurch lernt, sich selbst (und die anderen in der Kutt) zu wertschätzen und zu mögen? Es läuft ins Gegenteil. In einer Zeitung von 2022 steht am Krampustag über den Umzug der Teufel zu lesen: «mit dabei waren auch etliche ‚Kinder-Krampusse‘. Es wird stets darauf geachtet, dass der Umzug kinderfreundlich ist.»


Glossar

Kutt (Schar, Bande, Gruppe)

Traam (tragende Holzbalken)

Krampus (‚Kramp-Fuß‘ = Teufel)


*) klingt paradox, aber ist nicht da, um Angst zu machen, sondern Angst zu überwinden. 

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