Hör zu, mein Lieber! (c) dege

Spitz die Ohren

Georg Dekas
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23. November 2022

Zuhören ist nie verkehrt. Im Gegenteil. Es ist angeboren. Wer als Tier nicht früh die Ohren spitzt, lebt nicht lange. In unserem Bildungssystem hingegen hat das Zuhören mehrere Bedeutungen – und Auswirkungen.

Der venezianische Philosoph Massimo Cacciari hält einen Vortrag, eine Konferenz, in Bozen zu «L’urgenza di ascoltare». Veranstalter ist die GestaltAkademie Südtirol, Eintritt 15 €.

Cacciari ist sicher einer der interessanten Denker und kann mit Blick auf sein Werk als mitteleuropäischer Geist bezeichnet werden. Seine häufigen Auftritte im italienischen Sprechfernsehen lassen einen erfahrenen Mann erkennen, der sich traut, die herrschende Meinung in Frage zu stellen. 

Sein Anliegen, dem Zuhören mehr Gewicht zu geben, ist sicher nicht verkehrt. Es mutet halt ein bisschen seltsam an, bei einem Talk-Promi, der vom Zuhören lebt.

Das wahrhafte Zuhören ist notwendig im Kreis der Familie und der Freunde und muss stetig gepflegt werden. In der gesellschaftlichen Betrachtung hat das Zuhören hingegen etwas von einem Paradoxon.

Ist es denn nicht so, dass ein in unsere Zivilisation hinein geborener Mensch vom Säugling bis zur Vollblüte seines Lebens fast immer ein Zuhörer ist? Ja, zum Zuhören verdammt ist?

Das «Buchele» schauen und die Märchen hören, das ist toll. Der Kindergarten auch. Die ersten Jahre in der «Volksschule» (nenne sie immer noch gerne so) sind auch spannend. Aber dann wird es von Jahr zu Jahr zäher. Tatsache ist, es sitzen bei uns die jungen Leute in Oberschul- und Hochschulklassen. Und was müssen sie tun? Sitzen und zuhören. Zuhören. Zuhören. Zuhören. Junge, fähige Leute, die zu anderen Zeiten schon Brücken gebaut, Kriege geführt, Haushalte geleitet und Kunstwerke geschaffen hätten.

Hat nicht dieses erzwungene, ewige Zuhören genau diesen mächtigen Überdruss erzeugt, der als Desinteresse so beklagt wird? Haben inzwischen nicht gar zu viele in einer überlangen Schulzeit (für Hochqualifizierte an die 20 Jahre!) gelernt, wie man mit Worten weiterkommt anstatt mit Taten? Oder anders gesagt: Ist es nicht so, dass die besten Taten untergehen, wenn sie nicht wortreich inszeniert und verkauft werden? Wer soll in diesem Babylonia bitte noch mehr und weiter zuhören wollen?

Wir haben heute eine politische Klasse (von manchen ehrfurchtsvoll «Entscheidungsträger» genannt), die bekannt dafür ist, viel zu reden und nichts zu sagen. Und wenn man bei den lautesten Stimmen zu- und hinhört, und die eigene, reale Lebenswirklichkeit dazu stellt, dann muss man leider zu oft erkennen, dass die Welt voller Wortakrobaten ist. Geballt in Politik, Marketing, Wissenschaft und Medien. Und dass sie nicht schlecht verdienen, wenn sie redend und darstellend, auch mit Millionen von Zuhörern, die Geschäfte ihrer Brötchengeber und damit ihre eigenen voranbringen.

Immer mehr wirklich gebildete und fähige Leute sagen unter sich: Wir haben lange zugehört. Irgendwann geht es über. Wir nehmen nicht mehr alles an von den Leuten, die wollen, dass ihnen zugehört wird. Die Coronazeit hat es an den Tag gebracht: Die Studierten, die Autoritäten, denen vormals gläubig zugehört wurde – sie haben sich ein großes Vertrauensproblem eingebrockt, und sie haben jetzt ein Zuhörproblem. 

Auf digitalen Kanälen mag viel Unsinn kursieren. Daraus ist jedoch nicht zu schließen, dass man den Autoritäten auf Papier und im Fernsehen Glauben schenken und ihnen besser zuhören sollte. Wiederum hat die Coronazeit gezeigt, und das ausgerechnet in den „sozialen“ Kanälen, wie schnell anerkannte Experten ausfällig werden können, und dazu noch fachlich auf dem Holzweg sind. Und wie subtil Propaganda sein kann. So verliert man Autorität und mit ihr das Privileg, dass einem zugehört wird.

Unabhängig davon liegt die Dringlichkeit des Zuhörens auf einer anderen Ebene. Zuhören heißt eigentlich hinhören, und das ist der angeborene Lebenstrieb schlechthin, der muss nicht akademisch „gevortragt“ sein. Wer seine Ohren nicht früh spitzt, als Katze, Fuchs, Bub oder Mädel, als aufgehender Stern oder erfahrener Hund, der bringt sich um die schönsten Knochen und die fettesten Mäuse …und hört den Jäger gar nicht kommen. Dafür vielleicht den Jagermax, den Cacciari.    

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