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SCHLUSS MIT RETRO-FASCHISMUS

Georg Dekas
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29. September 2022

Der alte Faschismus ist tot. Auf ihn fixiert zu sein bedeutet, die Gefahren der Gegenwart nicht zu sehen. Überlegungen an der Figur von Giorgia Meloni.

Es ist nicht so, dass ich an Giorgia Meloni und ihren welschen Brüdern („Fratelli d’Italia“) einen Bären gefressen habe – aber noch weniger habe ich vor, mir einen Bären aufbinden zu lassen. Weder von der einen noch von der anderen Seite. Und deshalb muss meine liebe Giorgia Meloni wieder herhalten für eine Runde. Weil das quicklebendige Madl aus Rom etwas verkörpert und personifiziert, das ein ungelöster Widerspruch, eine versteckte Sünde und eine versteinerte Sicht auf die Vergangenheit ist – lauter Knoten, die durch den Fortgang der Dinge dabei sind, entweder aufgelöst oder wie ein alter Zopf, klipp, mit der Schere abgeschnitten zu werden.

 

Beschimpfung und Brandmarkung

Da stehen lokale Behauptungen im Raum, die Meloni wäre „Mussolinis Erbin“ (FF Nr. 38/2022), ihre Politik ein „Spiel mit dem Feuer“ (FF Nr. 39/2022). Nicht mehr als ein wohlfeiles Wortspiel auf das lodernde Parteisymbol des neofaschistischen MSI. Dann geht es weiter mit dem so beliebten Pseudobegriff ‚Postfaschisten‘. „Fortan wird das Land geführt von einer Koalition aus Konservativen, Populisten und Postfaschisten“ (Leitartikel  FF Nr. 39). Bis hin zur ultimativen Benennung der künftigen Regierung der Republik Italien als „neofaschistisch“ (Sven Knoll, STF). Knoll bezieht sich sogar auf ein kurzes Klipp (Youtube), das ideologische Gegner aus der Videosteinzeit ausgegraben haben. Eine blutjunge, fesche Römerin sagt da auf Spaghettifranzösisch, Mussolini, der Benito, sei ein guter Politiker gewesen, dass er alles für Italien tat, so wie kein anderer Politiker der vergangenen 50 Jahre. Der Sager ist von 1996.  Es ist Provokation pur, aber das Mädchen ist 19 Jahre alt, und sie wollte provozieren (nicht viel anders als es heute die ‚Extinction‘-Rebellen tun).

 

Jugendsünde Copy Paste

Sven Knoll klebt den Uralt-Netzfund ein in die unmittelbare Gegenwart: „Mit Giorgia Meloni wird nun eine Frau italienische Ministerpräsidentin, die Mussolini als besten Politiker aller Zeiten bezeichnet.“ Das ist eine bewusst unlautere Überdehnung. Die staatsmännische Analyse sei es von links (FF) wie von rechts (STF) wird festgemacht an der Rebellen-Aussage einer 19jährigen vor einem Vierteljahrhundert! Fällt Euch sonst nix ein?

Als ich 19 war, bin ich als Arbeiter in einer Eisengießerei in Malmö im Erste-Mai-Zug eingehakt mit den Maoisten gegangen, habe Lenin für einen guten Politiker gehalten, habe die Amerikaner wegen der vom Napalm brennenden Kinder in Vietnam gehasst. Gut, dass mir damals niemand eine Kamera vor die Nase gehalten hat. Wenn mir heute ein neunmalsuedtirolnewsgescheiter über die Stirn schreiben würde “Von seiner Vergangenheit eingeholt“, dann würde ich ihm ein’s pfeifen und sagen: Ich habe wenigstens eine, und du?

 

Ideologische Überreaktion 

Geschenkt, dass die Linken auf „Antifaschismus“ und die zeitgeistigen Konformisten auf „Postfaschismus“ abfahren. Es ist nur zu bekannt, dass diese Gattung Leute alles, was nach Bewahrung von Ordnung und Sitte, was nach Heimatliebe und Stolz auf das Eigene klingt, ablehnen und jedesmal einen Stromstoss kriegen, wenn Reizworte in diese Richtung fallen. Dass aber Leute, die sich Patrioten nennen, so heftig und undifferenziert auf die Frau Meloni reagieren, obwohl es bei ihrer Einstellung im Kern um Sitte, Ordnung und Heimatliebe geht, das nimmt Wunder.

Da schreibt die Südtiroler Freiheit doch tatsächlich: „Die „Faschistischen Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia) haben die italienische Parlamentswahl deutlich gewonnen.“(STF am 26. September 2022), und: „Vor 100 Jahren haben in Italien die Faschisten die Macht an sich gerissen. Genau 100 Jahre später bekommt Italien wieder eine neofaschistische Regierung.“ (STF/Sven Knoll am 28. September 2022). Kleine Anmerkung: Eine neofaschistische Regierung hat es in Italien nie gegeben.  Und Mussolini war kein Neofaschist, sondern der Erfinder und Gründer des originalen Faschismus. Genau darum sollte es eigentlich gehen: Jenseits von Jugendsünden und Jahresringen des Lebens besteht ein neuer und dringender Klärungsbedarf in Sachen „Faschismus“ und Patriotismus.

Faschistischer Triumphbogen von 1926 bis heute in Bozen

 

Patriotische Unverträglichkeiten 

Während die patriotische Süd-Tiroler Freiheit in Bozen auf Meloni schimpft wie  ein Rohrspatz, erscheint die linke „Neue Südtiroler Tageszeitung“ mit der Schlagzeile „Die Scheinheiligen“.  Damit schmiert (nicht reibt) sie der Knoll-Partei genüsslich unter die Nase, dass in Wien die patriotischen Blauen von der FPÖ den Sieg der patriotischen Meloni bejubeln. Die provozierende „Meldung“ zielt auf das Grund-Dilemma des Patriotismus ab. Wer seine Heimat liebt und preist, muss anerkennen, dass andere die ihre lieben und preisen. Vom sicheren Wien aus kann man es der Meloni und ihren Fratelli nicht verargen, dass sie ihre Heimat lieben und preisen. Die Gemeinheit im Patriotismus steckt da drin, dass nicht alle Heimaten gleich sicher und unangefochten sind, dass nicht alle im friedlichen Beieinander leben, weil andere ‚Patrioten‘ sie begehren. Das ist wie beim Neunten Gebot („Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus“) eben das Heikle am Patriotismus: Die Grenze. Wo liegt sie? Was ist deine Heimat, was ist meine? Welches Recht hast du, in meine einzudringen und es als deine auszugeben? Da drückt uns Südtiroler der historische Schuh mit der Giorgia.

 

Meloni: Ukraine gut, Südtirol böse?

Patriotische Unverträglichkeit ist – sieh an! – auch der aktuelle Kern des Ukraine-Krieges 2022. Wenn Giorgia ihren Wolodymyr herzt und seiner Ukraine Beistand gelobt, weil da ein Fremder in das Haus eingedrungen ist und es als seines ausgibt, dann müsste – wenn das Leben ein intellektuelles Schachturnier wäre – Giorgia Meloni die entsprechenden Freundlichkeit auch gegenüber uns Südtirolern zeigen. Wenn auch nichts an der Vergangenheit zu ändern ist, so macht doch der Ton die Musik. Und angestammte Tiroler über den Brenner auswandern heißen, das gehört ganz sicher nicht zum guten Ton eines Patrioten. Das ist Pfui Putin.

 

Die Vergangenheit und die Freiheit 

In den vielen guten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg (wir Südtiroler nach Feuernacht und Folter) haben wir uns alle mehr oder weniger darauf geeinigt, dass Europa unsere große Heimat ist und der amerikanische Lebensstil unsere gemeinsame Kultur. Unsere kleinen Heimaten erschienen uns wie Chimären aus der Vergangenheit oder wie glücklich überwundene Klippen auf einer gefährlichen Seefahrt.

Seit 12. März 2020 ist alles anders. Covid war der Brennspiegel, der alle Widersprüche der Staatsgewalt, aber auch die verlorenen, alten Werte des westlichen Lebens in brandhelles Licht gesetzt hat. Dazu kam am 24. Feber der Krieg im Osten Europas. Plötzlich konnte oder wollte niemand mehr „neutral“ sein. Also heißt es Partei ergreifen. Für oder gegen die Ordnung, für oder gegen die Freiheit. Für oder gegen die Heimat, die eigene Nation, ja das eigene Leben. Die Wahl Italiens, die Gestalt der Meloni werden in dieser Optik etwas verständlicher. Das schablonenhafte Einrücken in Symbole und Gespenster, die hundert Jahre zurück liegen, versperrt den Blick auf die Hoffnung, auf die Zukunft.

Postkarte aus dunkler Zeit, Detail (c) Privatarchiv

 

Emanzipation vom Faschismus tut not

Eine neue Emanzipation ist gefragt. Man kann Italiener nicht ewig dafür büßen lassen, dass sie einmal Faschisten waren, genauso wenig wie man Deutsche ewig dafür büßen lassen kann, dass sie einmal Nazis waren. Das widerspräche nicht nur dem christlichen Grundgebot des Verzeihens, sondern würde jede Weiterentwicklung der menschlichen Kultur verleugnen, zu aller Nachteil und Schaden.

Mussolinis Regime hat sich am Ende auch für die begeisterten Italiener nicht ausgezahlt, aber der Mann ist Schmied einer Epoche und Teil der Geschichte und Identität Italiens. Moralisch steht er freilich auf einer Stufe mit seinem Schüler und seinem späteren Beschützer Adolf Hitler (also nicht ‚weniger‘ schlimm).

Aber die Italiener tun mit Giorgia Meloni etwas, was sich die Deutschen nie und nimmer getrauen würden: Die eigene Geschichte annehmen, sogar die schlimmen, bösen Jahre. Bei klarer Zurückweisung von Rassenpolitik und Massenvernichtung.  Eine Nation muss diese Spannung aushalten können. Nehmt euch ein Beispiel an England, die stehen ganz bei sich und hätten auch genug Leichen im Keller.

Was gar nicht geht, das ist die Schere im Kopf und der Abzug an der Pistole, die jedesmal dann feuert, wenn ein ‚rechtes‘ Reizwort kommt. Was gar nicht geht, ist, diese beiden Männer, Hitler und Mussolini, als das Unaussprechbare, das Absolute festzusetzen: Denn das bedeutet, alles rotiert weiter um sie herum, und die Zukunft ist immerzu Geisel der Vergangenheit. Alte Fehler gebären neue. Man sieht es zurzeit an den Grünen, die sich im Furor der Buße für die Vergangenheit in ein neues Herrenmenschentum und in eine blinde Kriegsbegeisterung hineinreden. Diese Kette muss gebrochen werden. Giorgia Meloni will sich vom Faschismus emanzipieren. Sie ist in dieser Hinsicht mehr als eine „Frau“. Sie ist die neue Emanzipation Europas des 21. Jahrhunderts: Genderfrei. Heimattreu. Prinzipienfest. Und hoffentlich – unfaschistisch.

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