Musical-Poster aus Berlin (Ausschnitt)

LIEBE IST NICHT ALLES

Georg Dekas
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22. November 2023

Der Mord an Julia Cecchettin erschüttert ganz Italien. Eine Motivsuche.

Die schwarze Chronik („cronaca nera“) spuckt nach und nach aus, was mit dem jungen Liebespaar aus Venedig geschah, das  auf der Reise im kleinen Fiat Punto nach Tirol als vermisst galt. Tot – aber nur die junge Frau. Es war nicht eine Liebesreise. Es war grausamer Mord. Der Mord eines abgewiesenen Romeo an „seiner“ Giulia. Wie kaum ein anderes hat dieses jüngste Leidenschaftsverbrechen die Seelen und Geister berührt. „Italien ist geschockt“, titelt die Tageszeitung „La Verità“ am 21. November 2023.

Und schon sind die Erklärungen der „Experten“ bei der Hand. Pycha in der „Dolomiten“, Koler in der „Tageszeitung“ (…und das allein bei uns heroben). Das ärgert mehr als es hilft, besonders wenn die Gründe für die singuläre Mordtat in abstrakten Ideologismen gesucht werden. Den Anfang hat diesbezüglich die Schwester des Opfers gemacht: Das „Patriarchat“ sei schuld am Tod von Julia. (Weil sich die Gruber (La7) dranhängte und der Meloni das Patriarchat vor den Latz knallte, hat es in Italien gar einen medialen Aufstand gegeben.)

Die Aussage der Angehörigen ist zu respektieren als eine Art, die eigene Trauer auszudrücken, meine ich zusammen mit der „Verità“: „un modo di elaborare il lutto che non sta a noi a giudicare.“ Und genau so bin ich bei der nonkonformistischen Verità mit ihrem nachfolgenden Satz: „Sbagliano però i politici e giornalisti che la inseguono su questo punto.“

Das Patriarchat ist tot

Es irren Politiker und Journalisten, weil es das „Patriarchat“ schlicht und ergreifend nicht mehr gibt. Übrig geblieben ist nur der messerscharfe Kampfbegriff für eine politische Agenda. Der Begriff erklärt nichts, genauso wenig wie das „kollektive Männerbild“ von Koler oder die „strukturelle Männergewalt“ der Gleichstellungsbeauftragtinnen. Nichtsdestotrotz haben die Feministenaufmärsche am kommenden 25. November die Tragödie um Giulia schon fest abonniert unter dem Titel «femminicidio»/ Frauenmord. In Trient marschierten sie schon.

Nein, das Entsetzen und die Betroffenheit über diese Bluttat geht weit über die Erklärungsschema der Ideologismen hinaus. Gleichzeitig wurzelt es weit darunter in den Gefühlen und Erfahrungen, die fast jeder Mensch aus einem langen Liebesleben kennt. Dieser Mord berührt, weil das Opfer so jung, so lieblich und vertraut anzuschau’n ist auf den Fotos, die allenthalben aufscheinen. Ein ganz normales Mädchen. Keine Aufgetaggelte, keine soziale Randfigur.

Die Tat entsetzt, weil der Täter, ein junger Mann, so wach und so nett wirkt auf dem immergleichen Zeitungsfoto. Mit nur wenig Fantasie könnte es ein Romeo sein. Es ist dieser junge, mitten aus dem vertrauten Alltag kommende, so „romeohaft“ wirkende Mord aus verschmähter Liebe, der gewaltig einschlägt. Mögliche Erklärungen für die Untat dürften in dieser Alltäglichkeit gefunden werden.

Die Mitschuld des Zeitgeists

Über diese tragische Geschichte wölbt sich der Zeitgeist mit seinem Irrglauben: „Liebe ist alles“. Das botschaftet ein (schwules) Berliner Musical mit dem Titel Romeo und Julia. Gemeint ist ‚darf alles‘, ‚gilt alles‘.

Nein, Liebe ist nicht alles, Liebe darf nicht alles. Vor allem ist Liebe nicht nur Verliebtheit und Fleischeslust. Die Formel „Liebe ist alles“, reduziert auf Sex und Beziehung, ist viel eher ein Deckmantel für Verwirrung, Gier, Betrug. Ein kurzer Sommerreigen, als Ewigkeit verkauft.

Hier ist es der «gefallene» Romeo», der seine Julia umbringt. Nicht gemeinsamer Liebestod, sondern vielleicht kalte Rachehandlung aus narzisstischer Kränkung. Es ist jener Narzissmus, der zum Signet einer ganzen Generation zu werden droht: Kräftig gespeist von der Liebes-Obsession der neuen Mütter und der Familien ohne Väter. Die absolute emotionale Vereinnahmung des Kindes, die Erfüllung jeden Wunsches, das Wegräumen aller Hindernisse – diese mater/-ielle Gluckenliebe kann bei Buben im jungen Erwachsenenalter zu verheerenden Gefühlsverwirrungen führen.

So ähnlich sieht es die Verità vom 21. November 2023:

«Um jeden Preis glücklich sein wollen macht die Leute zerbrechlich. Sie sind nicht mehr fähig, eine Zurückweisung zu ertragen. So wird aus Liebe Hass», sagt Massimo Gandolfini.  («La cultura della felicità ad ogni costo rende le persone fragili. Non riescono ad accettare rifiuti. E l’amore si trasforma in odio.»).

Gandolfini erklärt sich die üblen Folgen des materiellen, unbedingten Genussstrebens mit einem übergeordneten Gesetz:

«Der Mensch hat Gott aus seinem Leben gestrichen. Daher wird jeder Schmerz zur Gewalt», («L’uomo ha cancellato Dio dalla sua vita. Così qualsiasi dolore diventa violenza.»)

Dem ist nur eins hinzuzufügen: The Real Romeo und Julia 2023 sind asymmetrische Opfer des neuen Matriarchats ohne Gott.

 

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