«Ich bin schockiert». Na, worüber denn? «Ich bin schockiert, genügt das nicht?» Doch, doch, das ist wirklich ansteckend.
2010 hatte der geborene Berliner und französische Intellektuelle Stefan Hessel einen kurzen, aber gewaltigen Publikumserfolg mit seiner kleinen Streitschrift «Indignez-vous!» (Empört Euch!).
Aus welchem Grund auch immer hatte der bereits 93jährige mit dieser Wortwahl den Nerv der Zeit getroffen. Der Denker selbst führt den Aufruf zur Empörung auf die verratenen Ideale der Résistance zurück, der er selbst angehörte. Schlaue Auskunftgeber wie Wikipedia sehen das Motto Hessels als Aufruf gegen den Sozialabbau durch postmoderne Regierungen.
Wird alles sein. Ich möchte ergänzen und betonen: das «Empört Euch!» ist der passgenaue Stöckelschuh der politischen Sprache jener Frauen, die seit der Millenniumswende massiv die Bühne der Medien, Parteien und Regierungen erobern.
Es ist die Sprache der Aufgeregtheit, der hohen Tonfrequenzen, der emotionalen Erpressung, der Dramatisierung allen Geschehens. Frühere Bilder, die einem da in den Sinn kommen, wären Waschweiber gewesen, oder Klageweiber, wobei bei näherem Hinsehen diese beiden Archetypen von Frauen höchst respektabel sich ausnehmen gegenüber der kindischen Aufgeregtheit, die heute den Ton von Weiblein und Männlein bestimmt.
Nicht umsonst tauchen bei «Empört Euch!» Gedankenbilder auf an schnatternde Gänse, oder an Hühner, die gackernd vor dem Fuchs davon rennen, oder an eine Menschenmenge, die mitten auf einem belebten Markt einen Taschendieb stellt und ihn mit wüsten Beschimpfungen und schrillen Schreien festhält. Das «Empört Euch!» passt gewiss auch auf Macho-Autofahrer, die, falls ungehört, mit eindeutigen Handzeichen zu verstehen geben, dass ein A*loch jeder ist, der ihnen irgendwie Tempo und Vorfahrt nimmt.
Wiewohl die aus Eingeweiden aufsteigende Indignation mit Ausrufezeichen kein besonders weibliches Merkmal ist – der Mann Hessel beweist es – so machen die politischen Weibchen der Jetztzeit genau dieses zu ihrem bevorzugten Stilmittel.
In einer öffentlichen Stellungnahme zum Tod eines italienischen Politikers im Juni 2023 etwa vergibt eine grüne Dauer-Empörte aus Bozen nacheinander folgende Worte mit eindeutigen Gefühls-Noten: «grotesk, bizarr, absurd, unglaublich, erschreckend, frauenfeindlich; (Er hat) lächerlich gemacht, verhöhnt, gedemütigt, hat verkommen lassen, (ist) widerlich, allergröbst, krass, ekelhaft, (ich) am meisten verabscheue.» Dazu noch ein «Danke Marlene!» an eine empathische Mit-Empörte.
Immer zum selben Anlass sekundiert in einer Kommentarspalte ein sonst nüchterner Mann vom Bauch heraus: «bin maßlos enttäuscht». Eine kommentierende Frau meint, «Ich hoffe, Frau X, Sie stecken VIELE mit ihrer Haltung an!». Anstecken, wohlgemerkt, nicht überzeugen.
Immer zum selben Anlass äußert sich ein weiteres politisches Weibchen mit „Ich bin schockiert“. Na, worüber denn? Weil wieder ein anderes Weibchen keine Schmährede, sondern einen «Lobgesang» (wörtlich!) auf den Toten angestimmt und damit eine „rote Linie“ überschritten habe.
Zu diesen Augenblicks-Aufnahmen kommt aus allen Ecken die endlos lange Kette von empörten Attributen wie «unerträglich», «unsäglich», «unsagbar», «menschenverachtend» und Vieles mehr.
Ja krutzitürken, ist denn das die Möglichkeit! Jetzt empöre ich mich aber auch, so langsam! Kaum haben wir die Pfaffen und die Revoluzzer weg, dann kommen diese Tanten (und Dackelmänner), «Außen Ministerin, innen Mutter», empören sich – How dare You! – und belehren die ganze Welt, sehen «rote Linien» überall, vor allem bei den anderen, machen Politik mit der Begründung, «weil ich in einem anderen Deutschland nicht leben möchte», fühlen sich ausgegrenzt, benachteiligt, nicht sichtbar genug… Immer fühlen, fühlen, meinen, meinen, scheinen, scheinen. Apparire, non essere. Danach die Sprache.