Littorina Breda 1940 (c) aloisius1950

Die Littorina

Georg Dekas
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11. Dezember 2022

Für Eisenbahnfreunde ist sie ein unvergesslicher Teil der Wirtschfaftswunderzeit Südtirols, für die in den 1950ern Geborenen nicht selten ein sentimentaler Teil ihrer Kindheit und Jugend: die „Littorina“. Der rau röhrende bis gemütlich dahin blubbernde Dieseltriebwagen…

…verkehrte nach dem Krieg auf den nicht elektrifizierten Bahnlinien Meran-Mals und Franzensfeste-Innichen. Die Vinschger Littorina verschwand gegen 1980 hin, als der Bahnbetrieb Meran-Mals von den Staatsbahnen völlig eingestellt wurde. Der fremdartig anmutende, erdbraune Zug kam daher als Kreuzung zwischen einem Riesen-Engerling und einer lombardischen Salamiwurst auf Schienen. Drinnen ein Komfort, ja eine Eleganz, die es heute längst nicht mehr gibt. Und erst die damalige ’social media‘-Bedeutung, ha! Hier eine kurze Geschichte der (Vinschger) Littorina.

Gebaut hat sie FIAT, u.a. im Mailänder Werk von Breda. Aber der Ursprung ist deutsch. Die Italiener hatten den Dieseltriebwagen in Deutschland gesehen, wo er von den Deutsche Werke Kiel gebaut wurde und erhielten sofort die Lizenz zur Herstellung in Italien. Bei der Freundschaft von Adolf und Benito kein Problem. Wer weiß, ob die braune Lackierung nicht eine Hommage an den Geber war? Jedenfalls hat Benito dem norddeutschen Nafta-Triebwagen einen zünftig mediterranen Namen verpasst, denn Littorina, das ist eine kleine Strandschnecke (Littorina littorea), und der Zug sollte, in Aussehen und Tempo einer Schnecke nicht unähnlich, das volkstümliche Modell-Fortbewegungsmittel des neuen Italiens werden – ganz im Einklang und Lebensgefühl des faschistischen „Stile Littorio“ und den neuen Modell-Städten, die Mussolini in den trocken gelegten pontinischen Sümpfen im Süden Roms hatte errichten lassen – eine davon hieß Littoria, die Küstenstadt (Erbaut 1932, heute Latina). Doppelte und dreifache Vernamung also, denn „Littorio“ bedeutet weder Schnecke noch Küste, sondern leitet sich vom ‚Liktor‘ ab, dem antik-römischen Gerichtsbeamten, dessen Hoheitszeichen das ‚Liktorenbündel‘ war und das der Faschismus zu seinem Logo erkor.

Während aus den Millionen von glühenden Faschisten und Littorianern nach der Landung der Amerikaner auf Sizilien schnell alles Partisanen und Antifaschisten wurden, nach 1948 selbstverständlich Demokraten, tuckerte die gute alte, genuin faschistische Littorina in ihrem kastanienbraunen Look mit den feuerroten Binden und den mattgrünen Sesseln in Kunstleder noch lange über die Berg- und Küstenstrecken Italiens – eine Kontinuität, die sie mit den Bauwerken jener Zeit teilt und nicht zuletzt auch das menschlich-allzumenschliche Geschichtsverständnis der Italiener anzeigt.

Die Littorina, das war jedenfalls das Personen-Verkehrsmittel Nummer Eins, als es lediglich eine Handvoll Vespas, Fünf- und Sechshunderter Fiat und sonst nicht viel mehr gab, und alles im Tal mit dem Zug zum Hauptort fuhr. Nach der ‚Litorina‘, wie sie auf südtirolisch hieß, konnte man Uhrzeit und Tag einteilen, in der ‚Litorina‘ entstanden die ersten zarten Liebesbande, die ‚Litorina‘ war fahrende Neuigkeitenbörse für alle, die das Wirtshaus mieden. Ihr Diesel-Sound ist unvergessen. Mit der ‚Litorina‘ ging eine Ära zu Ende.


Vorab und nachträglich herzlichen Dank an Gigi Martinelli (aloisius1950), Piemonteser Eisenbahnnarr, der u. a. den Sound und die Fahrten der Littorina auf YOUTUBE festgehalten hat. Das Titelbild und das mit der Innenausstattung sind sein Werk, das Bild unten stammt vom Modelleisenbahn-Handel littorina.it, das Retro-Foto von den Italienischen Staatsbahnen FS.

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